7. Februar 2024 | 20 Uhr

In einem Land, das es nicht mehr gibt

Filmdrama | 2022 | Deutschland

100 Minuten

Weil sie mit Orwells Buch 1984 in der Tasche erwischt wird, fliegt Suzie (Marlene Burow) kurz vor dem Abitur von der Schule. Aus sind der Traum vom Literaturstudium und dem Leben als Schriftstellerin. Nun soll sie nämlich in einem Kabelwerk zu einem funktionierenden Mitglied der Gemeinschaft erzogen werden und ihren Beitrag zur sozialistischen Gesellschaft leisten. Und dann kommt es noch einmal anders. Auf ihrem Weg zur Arbeit, wird Suzie unbemerkt fotografiert, ziert in der nächsten Ausgabe das Editorial der Modezeitschrift Sibylle und soll deren Gesicht werden.

 

Das ist die andere Welt, in die der Film Einblicke gewährt: Die Welt der offiziellen Mode der DDR, die in der Sibylle und auf Laufstegen in Leipzig präsentiert wird. Sie folgt bestimmten Regeln und dem Wunsch nach Konformität. Aber Suzie muss lernen, dass sie mehr benötigt als ein schönes Gesicht, gute Fotos und der gerade Gang auf High Heels, um in der Branche zu bestehen, und dass es noch mehr Einfallskraft, Mut und Willen braucht, um innerhalb des Konformismus ihre Freiheitsliebe auszuleben und ihren Weg zu finden.

 

"In einem Land, das es nicht mehr gibt" erzählt eine überzeugende Coming of Age-Geschichte: Suzie wird im Lauf der Ereignisse nicht nur zum Gesicht der Republik, zu einem Star des Ostens, sondern auch erwachsen und reifer, als sie es mit jedem Abitur geworden wäre, aber auch selbstbewusster und ein Stückchen freier.

 

Auf ihrem Weg helfen ihr Menschen wie Freigeist Rudi, Chefredakteurin Elsa Wilbrodt oder Facharbeiterin Gisela; andere wie Mannequin Uta dagegen legen ihr Steine in den Weg. Und dann ist da noch Fotograf Coyote, der sich nicht an die Regeln hält, aber immer die richtigen Momente abpasst, um auf den Auslöser zu drücken, und deshalb so faszinierende Bilder macht. Er hat jedoch ganz andere Pläne.

 

Aelrun Goette selbst wurde Ende der 80er Jahre auf einer Straße in Ostberlin als Model entdeckt und weiß, welche Geschichte sie erzählt. Das merkt man dem Film an, insbesondere der Figur der Suzie und deren Zweifeln, den Unsicherheiten und Fragen im Gesicht – überzeugend gespielt von Marlene Burow. Sie ist die Identifikationsfigur des Films, und man kann sich sehr gut in das 18-jährige Mädchen einfühlen, dass hin- und hergeworfen ist zwischen der eigenen Herkunft, den familiären Erwartungen und dem Verfolgen der eigenen Träume.

 

Der Film spielt im Jahr 1989, also kurz vor Ende der DDR. Das nahe Ende ist schon spürbar, der Protest, der Wandel und die leidenschaftlich herbeigesehnte Freiheit lauern an jeder Ecke. Und genau das ist der Coup und führt das Festhalten an den Strukturen einer konformen Gesellschaft einmal mehr ad absurdum – zumindest für ein Publikum, das weiß, wie es weiterging im Herbst 1989.

  

Regie: Aelrun Goette

Drehbuch: Aelrun Goette

Produktion: Tanja Ziegler

Musik: Boris Bojadzhiev

Kamera: Benedict Neuenfels

Schnitt: Julia Karg

 

Besetzung

Marlene Burow: Suzie Schulz

Sabin Tambrea: Rudi

David Schütter: Coyote

Claudia Michelsen: Dr. Elsa Wilbrodt

Jördis Triebel: Gisela

Bernd Hölscher: Petzke

Sven-Eric Bechtolf: Prof. Grünwald

Hannah Ehrlichmann: Marina

Gabriele Völsch: Christiane

Peter Schneider: Klaus Schulz

 

  

Filmkritik 

"Von wegen, die DDR war nur grau. Die Regisseurin Aelrun Goette erzählt von kleinen Fluchten, von Mode, Schönheit und starken „Ostweibern“. Ihr Film ist eine Einladung, genauer auf den Staat zu schauen, den es nicht mehr gibt‘" SÜDDEUTSCHE ZEITUNG SEITE 3, Renate Meinhof, 29. September 2022

 

"‚In einem Land, das es nicht mehr gibt‘ ist ein Glücksfall, wie es ihn im deutschen Kino selten gibt.‘" MITTELDEUTSCHE ZEITUNG, Martin Schwickert, 6. Oktober 2022

 

„Es ist ein betörend schöner Film, der DDR-Klischees umgeht, indem er die eher unbekannten Ecken des sozialistischen Alltags ausleuchtet“ „Der Film stellt auch offizielle DDR-Mode nach, wo alles starr ist, und Kontrolle regiert. Taucht aber auch ab in das Paralleluniversum von Kunst und Kreativität. Er dokumentiert eine Art ästhetische Republikflucht, will das Leben in der DDR aber nicht schönreden.“… „Goette gelingt ein tiefer Einblick, in eine bisher wenig bekannte Szene – die Modewelt der DDR. Sie zeigt aber auch gegen den Untergang hilft nur die Eleganz.“ ARD TAGESTHEMEN, 3. Oktober 2022

 

"Aelrun Goette hat ihre eigenen Erinnerungen in wunderbares Erzählkino mit opulenten Bildern verwandelt." EMOTION, Judka Strittmatter, 6. Oktober 2022

 

"Aelrun Goette … hat einen mitreißenden, gut recherchierten und exzellent besetzten Film gedreht, der wie kein zweiter die wilde und anarchische Subkultur der untergehenden DDR zeigt." ROLLING STONE, Thomas Hummitzsch, 29. September 2022

 

 

Auszeichnungen 

 

Rome Film Festival 2022

  • Nominierung als Bester Film

Günter-Rohrbach-Filmpreis 2022

  • Darstellerpreis (Marlene Burow, Sabin Tambrea und David Schütter)
  • Preis des Oberbürgermeisters (Kostümbildnerin Regina Tiedeken)

Deutscher Filmpreis 2023

  • Auszeichnung für die Beste weibliche Nebenrolle (Jördis Triebel)
  • Nominierung für das Beste Kostümbild (Regina Tiedeken)
  • Nominierung für das Beste Maskenbild (Annett Schulze, Dorit Jur und Ines Ransch)

Deutscher Hörfilmpreis 2023

  • Auszeichnung in der Kategorie: Spielfilm – Kino 

 

Quellen: Google, wikipedia, kino-zeit.de